VORFREUDE
Der Rucksack auf meinen Schultern wird langsam schwer, die Klamotten kleben auf meiner Haut und der Verkehr und die Menschen um mich herum sind chaotisch und laut. Ich liebe es! Kaum sechzehn Stunden im Flugzeug hat es gedauert und ich fühle mich wie auf einem anderen Planeten. Wir sind in Asien. So weit entfernt von unserer Heimat, und doch irgendwie Zuhause! Haoi, Rouven und ich kommen aus Hamburg. Unsere Freunde Sarah und Daniel sind die letzten zwei Wochen durch Vietnam gereist. Und heute treffen wir uns alle hier in Kuala Lumpur, um gemeinsam weiterzuziehen. Es ist der Start einer einmonatigen Asien-Reise. Wir sind ein bunt gemischter Haufen. Sarah und Daniel leben seit einiger Zeit vegan und haben vor Kurzem in Mainz einen eigenen veganen Laden mit Food-Truck eröffnet. Seitdem sind sie die Stars auf jedem Festival und fallen in Mainz auf wie ein bunter Hund. Das gleiche könnte man von Haoi behaupten. Nein, Haoi ist nicht vegan, aber Haoi fällt auf. Er ist Chinese. Davon haben wir in Hamburg nicht so viele. Als Kind einer Einwandererfamilie und aufgewachsen bei deutschen Pflegeeltern, verbindet ihn nicht sehr viel mit seiner eigentlichen Heimat, außer eben sein Äußeres. Das ist wohl auch der Grund, wieso er so gerne nach Asien reist. Endlich einmal nicht auffallen. Einfach sein wie alle anderen und in der Masse verschwinden. Haoi ist mein allerbester Reisefreund. Und der Fünfte in unserer Gruppe ist Rouven, mein Freund und unser persönlicher Reisefotograf. Es ist seine erste große Backpacking Reise und alles ist neu für ihn. Mein Name ist Ulrike. Unser erstes gemeinsames Ziel ist Sulawesi. „Noch nie davon gehört! Wo ist das denn?“, war die Standardantwort, die wir bekamen, wenn wir im Vorfeld von unseren Reiseplänen erzählt hatten. Sulawesi ist eine Insel in Indonesien, ihre Form ähnelt der einer Krake in der Größe von Bayern. Auch wir hatten vor unserer Recherche noch nie etwas von ihr gehört. Schön unbekannt und abgelegen eben, fernab des Massentourismus. „In der Nähe von Bali.“ – „Ahja, das kennt man!“. Eben, genau. Reisen ist für mich mehr als nur Urlaub. Urlaub machen Menschen, die gestresst von ihrem Job sind und einfach mal zwei Wochen im Jahr die Seele baumeln lassen wollen und das am besten all-inclusive am Hotelpool. Das ist nichts für mich. Ich möchte in Bewegung sein. Fremde Länder und Menschen kennenlernen und die Welt entdecken. Die Suche nach neuen Reisezielen ist jedes Mal die Suche nach unbekannten Ort, der meinen Freunden wieder ein „Noch nie davon gehört!“ entlockt. Unser aktuelles Abenteuer begann schon mit dem Buchen der Flüge. Durch den Tipp eines entfernten Bekannten haben wir uns als erste Anlaufstelle ein Guesthouse im kleinen Örtchen Namens Bira rausgesucht. Na gut, es gibt eben doch immer jemanden, der schon mal dort war. Das Guesthouse hat sogar eine Homepage, es gibt dort jedoch keine gute Internetverbindung, somit stellte sich die Kommunikation via e-Mail als schwierig heraus. Also entschloss ich mich kurzerhand den Besitzer von Deutschland aus anzurufen und ihn über unser Kommen zu informieren. Das Gespräch war unerwartet kurz. „I would like to book three nights for five people starting from November 2nd.“ Es folgte ein kurzes und selbstverständliches „OK.“ Verwundert durch die überraschende Unkompliziertheit fragte ich, „Don’t you need my name or something?“ – „No, but I can send someone to pick you up at the airport“. Wunderbar! Ich stimmte zu und legte auf. Na, wenn das alles klappt, dann fresse ich einen Besen, dachte ich. Sein Englisch war recht gut, aber konnte er sich das alles merken? Kann er überhaupt so schnell wissen, ob an diesem Datum etwas frei ist? Er möchte keine Sicherheit in Form einer Kreditkarte, sondern vertraute einfach darauf, dass wir kommen. Doch wie sollte uns sein Fahrer am Flughafen überhaupt erkennen? Er hat ja nicht einmal meinen Namen. Doch, ich hatte mich am Anfang mit „Ulli“ vorgestellt, erinnerte ich mich.
SULAWESI
Von Kuala Lumpur geht es nach Makassar. Unterwegs fliegen wir an winzigen Inseln vorbei, die manchmal wirklich aussehen wie die kleinen Inselherzen aus der Raffaelo Werbung. Im Flugzeug fällt recht schnell auf, dass wir die einzigen „Europäer“ an Bord sind und Sarah und ich sind auch noch blond. Immer wieder treffen unsere Blicke die der neugierigen Einheimischen. Wir landen auf einem kleinen Flughafen und werden direkt aus der großen Masse herausgefischt und zum Einwanderungs Büro eskortiert. Die Beamten beäugen kritisch unsere Reisepässe, machen Fotos von uns und sogar Fingerabdrücke müssen wir abgeben. Ich bin etwas angespannt und greife nach Rouvens Hand. Sie ist schweißnass. Ihm steht die Panik ins Gesicht geschrieben. So etwas hat er noch nie erlebt und ich muss lachen. Irgendwie süß. Der Beamte überreicht uns die gestempelten Pässe und sagt etwas auf Indonesisch. Er lächelt. Wir nicken als hätten wir ihn verstanden und verlassen das Flughafengebäude. Hoffentlich ist draußen jemand, der uns abholt. Schnell wird mir klar, dass nicht wir unseren Fahrer erkennen werden, sondern er uns. Wir sind alle einen Kopf größer als der Rest der Reisenden und weit und breit die einzigen Touristen. „Ulli! Ulli!“, höre ich einen kleinen Indonesen rufen. Es ist Umar, unser Fahrer. Erleichtert freuen wir uns ihn zu sehen und sind gespannt auf die fünf-stündige Autofahrt nach Bira. Umar sagt er sei 28, aber in Wahrheit war er wohl deutlich älter, das nimmt man hier aber nicht so genau. Auch was seinen Namen betrifft, ist er relativ flexibel. Wir dürfen ihn auch „Roy“ nennen. Unweigerlich schleichen sich Gedanken in meinen Kopf. Können wir ihm vertrauen? Warum ist er so nett zu uns? Am Ende will er bestimmt extra Geld oder hat gar vor uns zu entführen. “Reiß dich zusammen, Ulli!”, denke ich. Mit den Jahren des Reisens habe ich gelernt Fremden gegenüber aufgeschlossener zu sein. Umar war uns von Anfang an sympathisch und es stellte sich sehr schnell raus, dass er nichts Böses im Schilde führt und sogar mehr ist als nur unser Taxifahrer. Er kennt jede Ecke Sulawesis; denn er hat die Insel tatsächlich noch nie verlassen! Er liebt seine Heimat. Und beim Blick aus dem fahrenden Auto, vorbei an Reisfeldern und Palmen kann ich ihn auch sehr gut verstehen. Auf der Fahrt halten wir immer wieder an und Umar besorgt uns einheimische Snacks. Ohne zu fragen, einfach weil er es uns gerne zeigen möchte.
In der Dunkelheit erreichen wir das verschlafene Dorf Bira, viel sehen können wir leider nicht. Ein paar Meter weiter soll das Meer sein. Doch die Nacht ist tief schwarz. Die Besitzer unseres Guesthouses sind sehr freundlich und haben schon auf uns gewartet. Die Zimmer sind allerdings sehr spartanisch, die Toilette ist ein Mandi und wir fragen uns, wie das bloß funktionieren soll. Ein Mandi ist eine Art Plumpsklo. Ein Loch im Boden über dem man in der Hocke seine Geschäfte verrichtet. Als Spülung dient ein Eimer Wasser, in der eine Mandi Kelle schwimmt. Sowas haben wir noch nie gesehen. Nur für Haoi ist das nichts Neues. Ich jedoch bekomme schon beim Anblick Verstopfung! Noch am gleichen Abend schlägt uns Umar spontan vor, die komplette Zeit mit ihm zu verbringen und ihn als unseren privaten Tourguide zu buchen. Wir dachten: “Wer, wenn nicht er?” Er kennt hier jede Ecke und hat uns viele Abenteuer versprochen. Am nächsten Morgen wachen wir sehr früh auf, es ist warm und feucht. Der Holzboden knarrt, der wunderbare Geruch von Frühstück liegt in der Luft und in der Ferne kräht ein Hahn. Auf der Terrasse des Guesthouse angekommen beginnt unser Tag erst einmal mit Warten. Das Frühstück ist noch nicht fertig, aber das macht nichts. Auf der Tafel an der Wand steht geschrieben: “We cook with love and love needs time!”. Nun denn. Zeit sich umzusehen. Außer uns sitzen nur noch zwei weitere Gäste auf der Terrasse. Ein europäischer Auswanderer, der hier in Bira lebt und offensichtlich auf der Suche nach einer Reisebegleiterin ist. Wir lauschen unfreiwillig seiner Geschichte, mit der er die Dame an seinem Tisch für sich gewinnen möchte. Das Dorf Bira ist bekannt für seinen traditionellen Schiffbau. Auch er möchte sich hier sein eigenes Segelschiff bauen und damit um die Welt segeln. Am liebsten mit ihr. Sie strahlt. Wir auch, denn unser Essen kommt gerade. Nach einem sehr leckeren und gesunden Früchte-Frühstück laufen wir durch das Dorf. Als wir den Strand sehen, sind wir sprachlos. Sowas sieht man heute nur noch selten. Farben von unglaublicher Schönheit und das Beste, wir sind alleine. Wir verbringen den Tag am und im Wasser. Daniel und Haoi versorgen uns mit Kokosnüssen direkt von der Palme und Sarah und ich relaxen im badewannenwarmen Wasser, während der Auslöser von Rouvens Kamera unaufhörlich klickt. Umar kann unsere Begeisterung für all das nur schwer nachvollziehen, für ihn ist es alltäglich. Er ist an diesen Traumorten aufgewachsen. Und er möchte uns noch so vieles mehr zeigen. Plötzlich taucht ein jungen Mann mit Harpune aus dem türkisen Meer auf und läuft auf den Strand zu. Er freute sich uns zu sehen und gesellte sich zu uns. Wir kommen ins Gespräch. Sein Name ist Stefan und er ist der einzige Mensch weit und breit. Und woher kommt er? Aus Deutschland! Seine Eltern kauften vor vielen Jahren günstig Land auf Sulawesi und bauten hier nach und nach kleine Ferienwohnungen. Nun hat er sich entschlossen die Anlage zu übernehmen und hier zu leben. Ein Auswanderertraum. „Wir machen heute Abend ein Lagerfeuer bei uns am Strand. Wieso kommt ihr nicht auch dazu?“. Feuer, Strand, Meer und einen persönlichen Fahrer, der uns dort hinbringt und für jeden Spaß zu haben ist? Ein Backpackertraum!
Am nächsten Morgen stellt uns Umar einen alten Kapitän samt Boot vor mit dem wir heute einen Schnorchelausflug unternehmen. Umar wird schnell seekrank und bleibt daher lieber an Land. Die Verständigung mit unserem Kapitän, der nichts weiter trägt als eine weiße Feinrippunterhose, erfolgt nur durch Zeichensprache. Haoi schnorchelt heute zum ersten Mal in seinem Leben und ist kaum noch aus dem Wasser zu bekommen. An einem unserer Schnorchel-Spots sieht er etwas am Meeresgrund glänzen. “Das ist aber ein merkwürdiger Fisch.”, sagt er und taucht ab. Als er wieder auftaucht hält er eine GoPro in seinen Händen! Die Unterwasserkamera ist nur wenig größer als eine Streichholzschachtel. Es ist mir ein Rätsel wie unser kurzsichtiger chinesischer Freund das geschafft hat. Zum Sonnenuntergang sind wir wieder zurück in Bira. Zusammen mit Rouven sitze ich auf der Mauer am Strand und beobachte wie die Sonne über dem Meer untergeht. Um uns herum nur einheimische Familien, die dasselbe tun. Doch sie haben viel mehr Interesse an uns als an diesem schönen Naturschauspiel. Sie würden uns am liebsten anfassen und ein junger Mann hätte gerne ein Gruppenfoto mit uns! Die Situation ist etwas merkwürdig, aber wir fühlen uns nicht bedrängt. Die Menschen sind so nett zu uns und Touristen mit heller Haut und blonden Haaren sind hier einfach etwas ganz besonderes.
Da wir keine Zeit verlieren wollen, nimmt Umar uns nun mit auf eine wunderbare Reise durch sein Land. In Sengkang setzt er uns in ein kleines Fischerboot, mit dem wir in ein Dorf fahren, das komplett auf dem Wasser schwimmt. Umar bleibt lieber wieder an Land. Das Bootfahren ist einfach nichts für ihn. Wir lernen eine Familie kennen, die uns in ihr Haus einlädt. Es gibt Tee und gebackene Bananen. Die Menschen sprechen kaum Englisch und zeigen uns ihr Leben auf dem Wasser. Es sind sehr herzliche Menschen, die wenig haben und viel geben.
Auf der Autofahrt nach Tana Toraja erzählt uns Umar vom ausgeprägten Totenkult Sulawesis. Die Menschen hier haben keine Angst vor dem Tod, sie gehen damit sehr offen um. Wenn ein Familienmitglied stirbt, dann nimmt sein Leichnam noch mehrere Wochen am normalen Leben teil und die Familie hält Totenwache. Man spricht mit ihm oder raucht zusammen eine Zigarette. Es soll dem Toten schließlich an nichts fehlen. Die Beisetzung findet dann in Form eines mehrtägigen Festes statt. Umar erzählt uns, dass er manchmal Reisende begleitet, die teilweise wochenlang in Sulawesi bleiben nur um vielleicht die Chance zu bekommen an einem dieser seltenen Feste teilzunehmen. Und wie der Zufall es so will, findet eines davon morgen statt und Umar nimmt uns mit!
Der Verstorbene war ein reicher und sehr beliebter Mann. Das erkennen wir an den großzügigen Opfergaben, die von den weit angereisten Gästen in den Innenhof eines alten Gemäuers gelegt werden. Es sind Schweine und Büffel. Für einen einfachen Bauern werden meist ein bis zwei Schweine geschlachtet. Am heutigen Tag ist der gesamte Boden des Innenhofs übersäht mit unzähligen Schweinen und Büffeln. Gefesselt an Bambusrohre warten die Tiere auf ihren Tod. Sarah und Daniel sind mittlerweile in eine Art vegane Schockstarre verfallen und befinden sich in einem Stadium zwischen absoluter Ablehnung und der Neugier für fremde Kulturen. Es ist ein Menschenauflauf wie auf einem Jahrmarkt und ein Moderator verkündet, welche Familie dem Toten was und wie viel davon mitgebracht hat. Wir sind mal wieder die einzigen Touristen, wurden sehr freundlich empfangen und auf einer Tribüne dicht am Geschehen platziert. Immer wieder lächelt man uns von Weitem zu und wir müssen viele Hände schütteln. Die Familie sieht es als ein Geschenk an, dass selbst Fremde, wie wir, an ihrer Zeremonie teilnehmen. Anstatt mit Tieren kann man sich auch einfach mit einer Stange Zigaretten an der Opfergabe beteiligen, erzählt uns Umar. Zum Beispiel dann, wenn man das Schlachten von Tieren als etwas zu grausam empfindet oder man dem Verstorbenen nicht ganz so nahe stand, weil man eben aus Hamburg kommt, denke ich. Die Leichname der Menschen werden anschließend in den Höhlen riesiger Felswände “beerdigt”. An diesen Felsen-Friedhöfen kann man die Toten dann besuchen und eventuell noch Jahre später an ihren Skeletten erkennen. Überall stehen Alkoholflaschen oder Zigarettenschachteln herum. Was in Hamburg als das nächtliche Überbleibsel schlecht erzogener Jugendlicher auf dem Heimweg vom Kiez gedeutet werden würde, ist hier eben eine traditionelle Art sich um seine verstorbenen Verwandten zu kümmern. So viele Knochen und Schädel haben wir jedenfalls noch nie gesehen, da wird einem schon etwas mulmig. Handelt es sich bei den Verstorbenen um kleine Babys oder Kinder, dann kommen sie in den Wald, in kleine Löcher in den Bäumen. Man hofft so, dass ihre Seelen, durch die Baumkrone einfacher in Richtung Himmel gelangen können. Diese Vorstellung finde ich eigentlich sehr schön! Unsere Zeit in Sulawesi neigt sich so langsam dem Ende. Umar hat in den letzten Tagen sehr gut für uns gesorgt und hatte dabei selbst keinerlei Ansprüche. Unsere anfängliche Entscheidung mit ihm diesen Trip zu unternehmen fiel so spontan, dass er weder eine Zahnbürste, noch ein frisches T-Shirt eingepackt hatte. Gut, dass Daniel eins übrig hat. Es steht Umar sehr gut und wird für immer eine kleine Erinnerung an uns sein. Der Abschied von Umar fällt uns sehr schwer, doch natürlich hat auch er Facebook. So bleiben wir weiterhin in Kontakt und hoffen, dass er uns eines Tages noch den Rest seiner wunderbaren Insel zeigen wird. Unsere Reise geht heute aber in eine andere Richtung.
VON MAKASSAR NACH SINGAPUR
Das Flugzeug ist gerade erst zum Stillstand gekommen und das sehnsüchtig erwartete „Bing“, mit dem das Anschnallzeichen erlischt, wirkt wie ein Startschuss. Sofort klicken die ersten Anschnallgurte. Die Menschen springen auf und stürmen auf den Mittelgang des Flugzeuges, um an ihre Taschen in den oberen Gepäckfächern zu gelangen als wären es die letzten Rettungsbote der Titanic. Und dann stehen sie da. Und warten. So wie alle anderen auch. Normalerweise sitze ich in diesen Momenten gemütlich auf meinem Sitz und schaue mir das Elend aus der Ferne an. Doch nicht heute. Ich war die erste auf dem Gang! Vor knapp einer Stunde sind wir in Makassar gestartet und nun auf dem Changi Airport in Singapur gelandet. Unser Flug hatte ca. 30 Min. Verspätung. Das Problem dabei: Wir wollen direkt weiterfliegen auf die Philippinen und unser Zwischenstopp in Singapur war mit 1 ½ Stunden sowieso schon stark optimistisch bemessen. Eine Stunde für einen Terminalwechsel, das Warten am Gepäckband, das Einchecken der Koffer bei der nächsten Airline und den Security Check an einem der größten Flughäfen Asiens. Und wir stehen noch immer im Mittelgang des Flugzeuges. Rouven wird nervös und regt sich über die Unzuverlässigkeit der Airline auf. “Naja, wir sind in Asien. Hier ist eben alles ein bisschen chaotischer”, beruhige ich ihn. Es gab nur eine Lösung: Aufteilen. Sarah und Daniel laufen zum Gepäckband, um unsere Koffer zu holen, Rouven und ich versuchen mit unseren 5 Reisepässen am Schalter der Airline einzuchecken und Haoi versucht nicht verloren zu gehen. Endlich. Die Türen öffnen sich. Um zu Terminal 2 zu gelangen müssen wir die Metro nehmen. Die Metro? Im Flughafen? Wir möchten nicht die Stadt verlassen, sondern nur das Terminal. Naja, wir sind in Asien. Hier ist eben alles ein bisschen größer.
Geschafft! Wir geben unsere Reisepässe am Check-in-Schalter ab. Die Damen lächeln freundlich und legen uns im Gegenzug ein Formular vor. „Anspruch auf Entschädigung bei Flugausfall“. Flugausfall? Richtig. Jetzt sehen wir es auch. Überall auf den Anzeigetafeln steht es geschrieben. „Cancelled“. Heute fliegt nichts mehr. Rouven regt sich erneut über die Gesamtsituation auf. Die Damen am Schalter erklären uns, was los ist. Ein Taifun traf die Philippinen. Es war der schwerste der vergangenen 25 Jahre und der Flughafen, auf dem wir hätten landen sollen ist schlicht nicht mehr existent. Verwüstet. Keiner weiß, wie schlimm. Keiner weiß, wann der Betrieb wieder aufgenommen werden kann. Rouven beruhigt sich wieder und ist nun doch froh, es nicht in den Flieger geschafft zu haben. Jetzt haben wir Zeit. Zeit durchzuatmen, Zeit uns Gedanken zu machen über die weitere Reiseroute, und vor allem Zeit das Formular auszufüllen. Schließlich wollen wir unser Geld zurück. Der Flug hat immerhin ganze $19 gekostet! Naja, wir sind in Asien. Hier ist eben alles ein bisschen günstiger.
SINGAPUR
1 ½ Stunden Aufenthalt in Singapur. So war unser Plan. Aber nun sind wir hier erst einmal gestrandet. Mindestens zwei Tage. Also Handys raus, der Flughafen hat Wifi! Die roten Zahlen unserer WhatsApp Chats schießen in die Höhe. Unsere Freunde und Familien in Deutschland wissen bereits Bescheid und machen sich Sorgen um uns. Die deutschen Medien sind schnell und detailliert. Aber uns geht es gut und wir machen das beste daraus. Die Sonne geht unter und die Stadt erblüht in einer wundervollen Farbenpracht. Straßenstände, Fressbuden und Kokosnuss-Verkäufer wohin das Auge reicht. An jeder Ecke gibt es kleine asiatische Köstlichkeiten. Und überall sitzen sie. Asiatische Geschäftsmänner mit Anzug, Krawatte und Gummihandschuhen. Sie essen Durian. Eine Frucht, deren Geruch so widerwärtig und anhaftend ist, dass sie in öffentlichen Verkehrsmitteln sogar verboten ist. Man widmet ihr hier ein eigenes weiß-rotes Verbotsschild neben dem Nicht-Rauchen und dem kein-Alkohol-in-der-Bahn-Schild. Hat man ihren Geruch einmal in der Nase, riecht man sie überall. Sofort. Es ist eine Mischung aus erbrochenem Essen und verwesendem Tier. Für uns stand sofort fest: “Nichts wie her mit den Gummihandschuhen! Die müssen wir probieren.” Der nächste Obststand ließ nicht lange auf sich warten. „Nur mal ein Stück probieren“, wollten wir. Doch die nette Durian-Fach-Verkäuferin teilte uns höflich mit, dass sie Durian leider nur in 500 g-Packungen verkauft. Probier-Portionen gibt’s nicht. Diese friss-oder-stirb-Variante der Verhandlung kommt mir irgendwie bekannt vor. Immerhin gibt’s die Gummihandschuhe umsonst dazu. Und ich muss sagen, ihr Geschmack ist bei weitem nicht so schlecht wie ihr Geruch. Es verlangt etwas Übung den Geschmackssinn vom Geruchssinn zu trennen, aber hat man das einmal geschafft, ist es eigentlich eine leckere Frucht.
Drei Tage später stehen wir wieder am Flughafen Singapurs in der Hoffnung nun endlich nach Boracay auf den Philippinen fliegen zu können. Doch Fehlanzeige. Das Flughafenpersonal vertröstet uns mit den immer gleichen Floskeln. Also entscheiden wir uns, entgegen aller Ratschläge unserer Freunde aus Deutschland, uns von den Philippinen fern zu halten, nach Manila zu fliegen. Immerhin ist das grob die richtige Richtung und vielleicht weiß man dort mehr. Und nach Manila müssen wir sowieso, denn von dort aus geht unser Rückflug nach Hamburg. In Manila angekommen stellen wir fest, dass die Menschen hier wesentlich entspannter mit der Thematik des Taifuns umgehen. “Flughafen verwüstet? Das könnte sein, aber vielleicht ist auch einfach nur der Funkkontakt unterbrochen.”, erzählt uns eine Frau am Flughafen, “Gerade eben haben wir wieder das erste Flugzeug Richtung Boracay losgeschickt und das sollte in etwa zwei Stunden dort ankommen. Und spätestens dann kann ich ihnen sagen, ob es auch landen konnte.” Stopp! Mit so vielen Konjunktiven setze ich mich nicht in ein Flugzeug! Sarah erinnert sich an die Insel Palawan, auf die sie gestoßen ist, bei ihrer Reiseplanung. Palawan soll wohl nicht schlimm betroffen sein. Ein paar Konjunktive sitzen also auch diesmal mit im Flugzeug!
PALAWAN
Angekommen in einem Hostel in Puerto Princesa sprechen wir mit einigen Reisenden und lassen uns inspirieren. Schließlich haben wir keine weiteren Pläne und versuchen uns einfach treiben zu lassen. Der Ort Port Barton wird sehr oft genannt. Und wie sagt man so schön, am Ende der Pläne beginnt das Abenteuer. Ein Tuk-Tuk bringt uns zu einem Bus mit großen Reifen, mit dem wir nach Roxas fahren. Dort müssen wir umsteigen in einen Bus mit noch größeren Reifen. Der Taifun hat die Straße nach Port Barton überschwemmt und in eine riesige Schlammgrube verwandelt. Aber je nach Stärke des Unwetters hat man hier wohl auch die dazu passende Reifengröße. Mit uns im Bus sitzen viele Einheimische, aber auch ein paar Touristen. Wir unterhalten uns. Ob wir in Port Barton eine Reservierung haben? Natürlich nicht. Der Ort scheint nicht so unbekannt zu sein, wie wir vermuteten. Wir müssen wohl auf unser Glück vertrauen.
Port Barton besteht aus einem nur etwa 500 Meter langen Strandabschnitt, an dem sich zahlreiche Unterkünfte befinden. Jedoch sind tatsächlich alle ausgebucht. Hier herrscht nicht gerade die Einsamkeit, die wir von Sulawesi gewohnt und hier erneut erwartet haben. Wir beschließen erst einmal in einem der Hotels etwas zu essen. Die Holzterrasse im Essbereich wirkt recht stabil, aber irgendwie etwas luftig. Meine Blicke wandern nach oben und ich erkenne wieso. Das Dach fehlt. Es liegt im Garten nebenan. Bei näherem Betrachten fallen uns plötzlich die ganzen Sturmschäden auf. Alle Gebäude haben kleine Macken und zum ersten Mal sehen wir, dass hier vor ein paar Tagen wirklich ein Sturm tobte. Die Einheimischen gehen damit aber recht locker um. Das passiert hier immer wieder, aber der Alltag geht weiter. Wir fragen den Besitzer des Hauses bezüglich einer Unterkunft nach Rat.. Er bemüht sich sichtlich um eine Lösung und macht uns mehrere Angebote. Zum Beispiel könnten wir hinten im Haus der Bediensteten schlafen. Die Betten haben aber nicht einmal eine Matratze und gemessen an der Gastfreundlichkeit, die wir bisher in Asien erfahren haben, würde er wohl sogar die Bediensteten unter dem kaputten Dach im Garten schlafen lassen, nur um uns ein Bett anbieten zu können. Dann fällt ihm plötzlich etwas ein, das er sofort wieder mit einem “Nein, lieber doch nicht.” abwinkt. Wir haken nach. “Wir haben da noch ein Haus am anderen Ende der Bucht. Aber da ist nichts los. Das wird euch nicht gefallen.” Nichts los? Nichts wie hin! Angucken können wir es ja.
Wir steigen in das Fischerboot einer älteren Dame und fahren mit ihr etwa 10 Minuten über’s Wasser vorbei an einem dicht bewachsenen Palmen-Dschungel und plötzlich steht es da. Ein kleines Haus am Strand. Es ist über den Landweg nicht zu erreichen, der Generator liefert nur von 18 bis 22 Uhr Strom und ansonsten gibt es hier außer ein paar Hängematten und einem menschenleeren Strand überhaupt nichts. Was sich für uns anhört wie die Beschreibung des Paradies, sind für die ältere Dame und den Besitzer die negativen Punkte, die wir in Kauf nehmen müssten. Als “Entschädigung” wird er jeden Morgen und jeden Abend die Küchenchefin zu uns an den Strand schicken, um uns mit Speisen und Getränken zu versorgen. Wir waren sprachlos vor Glück. Das Schicksal meint es wohl wieder gut mit uns.